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Staatsoper Hamburg – Trionfi: Sex, Traubensaft und Kantaten

Titelbild: Trionfi/Szene aus Carmina Burana
PhotoCredits: Brinkhoff/Mögenburg

Carl Orffs szenische Kantaten Catulli Carmina, Trionfo di Aphrodite und Carmina Burana, Orff bekanntestes Werk eröffneten unter dem Titel Trionfi, die neue Spielzeit der Staatsoper Hamburg. Für die Regie von Calixto Bieito und Team, gab es, die leider zu (fast) jeder Premiere hier gehörenden Buhrufe beim ersten Regie-Vorhang, aber auch viel Applaus und Bravorufe. Einhellige Begeisterung hingegen herrschte für die Leistung aller Sänger*innen, von Komponisten, wie Regisseur über die Maßen gefordert. Belohnt wurden die Solisten und Chöre zu Recht mit lautstarken . “Bravi“

Statt einer meiner wortreichen Inhaltsangaben und -erklärungen überlasse ich heute das Feld diesem Podcast

Faszinierend, ohne „einfach so“ zu gefallen
Schnell schwirrte mir der Kopf vor lauter musikalischer und optischer Eindrücke, sodass mir auch jetzt noch die Worte fehlen, um sie adäquat wiederzugeben. Mit intensiver Personenführung und viel – zu viel? – Liebe zu Charakter gebenden und anderen Details interpretiert Bieito auf seine bekannte auch exzessive Weise die Melodien Orffs und die Worte Catulls, Sapphos, Euripides und althochdeutsche Lieder und dramatischer Texte. So hält uns Bieito in modern schlichtem Bühnenbild (Rebecca Ringst) und ebenfalls modernen Kostümen (Anja Rabes) mithilfe der Videos von Sarah Derendinger und der Lichtregie von Michael Bauer eine Art gesellschaftlichen Spiegel vor. Denn körperliche Begierde, Völlerei, Spielsucht und Ähnliches werden nie altern, uns immer beherrschen. So wird der geschlechtliche Akt, samt seiner (Macht)Spielchen simuliert, sich in Mengen von Traubensaft (?) gesuhlt und und und… Dem Publikum, das entdecken und verstehen will , wird ähnlich viel Konzentration, Mut etwas unangenehm berührendes zuzulassen und wohlwollende Aufmerksamkeit abverlangt, wie Können auf vielen Ebenen von den Darsteller*innen.

Oleksiy Palchykov, Nicole Chevalier, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Chor der Liatoshynski Capella, Kyiv, Ukraine
PhotoCredits: Brinkhoff/Mögenburg


Höchstleistungen über das Gesangliche hinaus
Zu dem, was von den Sänger*innen verlangt wird gehört unter anderem, dass die Damen und Herren des Chors der Liatoshynski Capella, Kyiv, Ukraine halb auf dem Bauch liegend singen oder die Herren ihre Koliginnen während des Gesangs auf dem Rücken tragen. Noch mehr gefordert sind, besonders in Catulli Carmina und Trionfo di Aphrodite, die den ersten Teil des Abends bilden, Nicole Chevalier (Lesbia / Sposa) und Oleksiy Palchykov (Catullus / Sposo). Palchykov zieht, während er seinen lyrischen Tenor zum Ausdruck bringt, einen Flügel über die Bühne, aus dem Chevalier ebenfalls singend klettert, sie kämpfen. springen, liegen übereinander auf dem Boden, „treiben es“, wie man so schön sagt, ohne dass ihr stimmliches Können darunter leidet. Chevalier, die auch ein Schauspielstudium absolvierte, strahlt natürliche, ja fast ansteckende Freude an ihren Aufgaben aus. Ihn durften und dürfen wir ja immer wieder in den unterschiedlichsten Partien erleben. Ihre Vielseitigkeit erleben zu dürfen (sie singt Medea, die Eva in Meistersinger, die vier Frauenrollen in Hoffmanns Erzählungen und einiges mehr) ist etwas, das ich mir für die Staatsoper Hamburg wünsche.
Oleksiy Palchykov, Cody Quattlebaum, Nicole Chevalier
PhotoCredits: Brinkhoff/Mögenburg



Bassbariton Cody Quattlebaum (Bariton / Basso corifeo), Sopranistin Sandra Hamaoui und Countertenor Jake Arditti sind die anderen Protagonis*innen in diesen Stücken. Quattlebaum fasziniert von Anfang bis Ende mit seinem warmen ausdrucksstaken Bariton. Schreibe ich nun, dass er seine Stimme gut führt und stützt, ist dies mehr als die übliche „opereske“ Floskel. Denn seine Rolle verlangt von ihm immer wieder mit freiem Oberkörper zu singen, auch wenn er Hamaoui Huckepack trägt, wobei seine Muskelanspannung und -lösung gut zu sehen, Vielleicht ist es sein Aussehen zusammen mit seiner starken Ausstrahlung, in Brautkleid, Mönchskutte oder eben Oben ohne, er hat hier etwas von Christus, Jochanaan oder einem mittelalterlichen (Raub)Ritter.
Jake Arditti, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Chor der Liatoshynski Capella, Kyiv, Ukraine, Komparserie der Staatsoper Hamburg
PhotoCredits: Brinkhoff/Mögenburg

In Carmina Burana geht der Kelch der hohen Leistungsansprüche auch an Sandra Hamaoui nicht vorbei. Rücklings von einem Tisch hängend, nur leicht von Quattlebaums Arm gestützt, lässt sie ihren Sopran lieblich, ohne süßlich zu wirken, erklingen und zieht auch in anderen Szenen mit schönen, klaren Tönen in ihren Bann. Jake Arditti, der mit der ungewöhnlichen Stimmlage Countertenor von sich reden macht, besticht besonders ebenfalls in Carmina Burana als gebratener Schwan, es ist faszinierend wie er stimmlich und darstellerisch, die Leiden des armen Vogels deutlich macht.

Faszination Oratoriumsmusik
Alle vier Chöre: Chor der Hamburgischen Staatsoper, Chor der Liatoshynski Capella, Kyiv, Ukraine, Hamburger Knabenchor und die Alsterspatzen – Kinder- und Jugendchor der Hamburgischen Staatsoper tragen ebenso zu der Attraktion und Faszination der Orffschen Musik bei, wie das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von GMD Kent Nagano.

Fazit: Der Text wurde länger als ich befürchtete, und doch zu kurz um auch nur annähernd auszudrücken, was an Anregungen geboten wird. Doch schon die „ganzheitlichen“ Leistungen der Sänger*innen und mein Wille, immer alles verstehen zu wollen, lassen mich einen zweiten, dann vielleicht durch meine Worte auch Sie erhellenden Besuch in Erwägung ziehen. Vielleicht steckt Achtung vor den Künstler*innen und meine Neugier ja auch Sie an…

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesucb 21.09.2024

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