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Staatsoper Hamburg – Carmen: Crossover aus Social Drama und Commedia dell’arte

Titelbild: Brinkhoff/Mögenburg

Am 24.09.24 begann an der Staatsoper Hamburg die diesjährige Aufführungsserie von George Bizets Carmen mit Ginger Costa Jackson in der Titelrolle, Vittorio Grigolo als Don José und den Rollendebüts von Narea Son (Micaëla) und Chao Deng (Escamillo). Alle stellten sich den Herausforderungen der, auf Herbert Fritsch’s kunterbunte Art, provozierende Inszenierung, mit Enthusiasmus und Erfolg und begeisterten das volle Haus.

Ensemble
PhotoCredits: Brinkhoff/Mögenburg

Commedia dell’arte statt Verismo
Ja, Carmen wird in den Opernführern als Opera Comique, bezeichnet, was jedoch nicht bedeutet, dass es sich um eine komische Oper handelt. Opera Comique bezeichnet Werke, in denen Rezitative durch gesprochene Dialoge ersetzt werden, vergleichbar mit dem deutschen Singspiel. (Mozarts Entführung aus dem Serail). Auf der anderen Seite gilt Carmen auch dem frühen Verismo zugehörig, denn es kommen weder Adlige noch Götter darin vor, sondern es werden alltägliche zeitlose Themen behandelt. wie eben die unglücklich endende Liebel(ei) zwischen dem jungen Soldaten José und der kompromisslos freiheitsliebende Carmen.

Ch.Deng (Escamillo), V. Grigolo (José)
PhotoCredits: Chao Deng

Fritsch liebt es knallig bunt, ob bei „Cosi fan tutte“ oder eben bei „Carmen“ , seine Stücke erwecken immer den Eindruck, als nähme er alles, beziehungsweise das Leben, nicht so ernst, einschließlich der eigenen Person. Denn auch wenn es auf den ersten Blick, neudeutsch „gringe“ wirkte, dass er seinem Team beim zweiten Regie-Vorhang den Vortritt ließ, um dann als Torero gekleidet in Sieger die Buhs entgegenzunehmen, provozierte, aber hatte auch etwas herrlich selbstironisches.

Seine Carmen-Inszenierung verlangt die Fähigkeit zur Selbstironie auch von seinen Künstler*innen oder zumindest den Mut zum künstlich übertriebenem Spiel. Oder besser gesagt, Fritsch scheint, und das 1ist eines der Zeichen der Commedia dell’arte, die es als ihre Aufgabe sieht, den Darstellenden zur Seite zu stehen, ihnen die Möglichkeit zur Selbstentfaltung zu geben, nicht dem Publikum zu dienen. Zu moralisieren oder Probleme aufzuzeigen, wie es heute oft gang und gäbe ist, liegt diesem Genre oder auch Fritsch fern. Auch scheinen der Commedia dell’arte und Fritsch Individuen unwichtig, es werde Typen dargestellt und Masken (die jeder von uns trägt). Aber ist die Überzogenheit nicht doch eine Art Belehrung, einen Spiegel vorhalten?

Szene in der Taverne, 2. Akt: Dancaïro und Remendado (Zwei Schmuggler), Carmen, Frasquita, Mercédès 
Jürgen Sacher, Nicholas Mogg, Katrina Galka, Maria Kataeva, Ida Aldrian PhotoCredits: Brinkhoff/Mögenburg Premierenserie

Irgendwo tief in mir ruht ein Teil, dem diese Diskrepanz einem Drama einen eher komischen Rahmen zu geben, statt das Tragische hervorzuheben gefällt. Doch an diesem Abend war ich nicht bereit ihm Raum zu geben und sehnte mich nach etwas weniger Farbe, etwas mehr Ernsthaftigkeit. Denn ich fühlte mich in der Beurteilung der gesanglichen Leistungen, besonders der beiden Hauptdarsteller, behindert. Tue ich Ginger Costa Jackson unrecht, wenn ich das Gefühl habe, sie schrie ihre Dialoge beinahe, statt zu sprechen? Ist das vielleicht inszenierungsbedingt gewollt ,wie so einige andere Dinge in ihrer Spielweise, die mir zum Regiekonzept nicht zu passen schienen? Ähnliches gilt für Vittorio Grigolo, er begann als der eher simple Junge vom Lande, der Soldat wurde, wie vorgesehen. Doch nach und nach verfielen Jackson und er mehr und mehr in die traditionellen Rollenbilder von Carmen und José, was (der Geschichtenerzählerin in) mir mehr und mehr sauer aufstieß, da es einfach nicht zum Gesamtbild passte Oh ja, das Finale war sehr dramatisch und spannend ,aber im Gesamtbild gesehen….

Zwei erfolgreiche Debütant*innen, namhafte Gäste
Mir ist bewusst, wo andere mit Vorliebe gesangliche Leistungen be- oder verurteilen, lasse ich mich Zeilen lang über Szenerie, Personenführung und Spiel aus, da ich es einfach interessant und auch wichtig finde, Neues verstehen zu wollen und das weiterzugeben. Doch natürlich liebe ich die Oper auch wegen der schönen, ungewöhnlichen Stimmen, die es dort zu hören gibt. Dass jeder jede Stimme anders empfindet, vielleicht sogar, was nicht nur die Tagesform der Sänger*innen, sondern auch die eigene betrifft, ist meine wohl recht unpopuläre Meinung, zu der ich stehe, ist meine Art der schriftlichen Selbstdarstellung.

Chao Deng (Escamillo), Han Kim (Zuniga), Narea Son (Micaëla)
PhotoCredits: Narea Son

Ginger Costa Jacksons Mezzosopran besticht durch ein umfangreiches Register und eine ungewöhnliche, für mich persönlich gewöhnungsbedürftige Stimmfärbung. Was das Spiel mit dem eigenen Instrument, die Modulation angeht, hätte ich mir mehr „Finetuning“ gewünscht.

Vittorio Grigolo hingegen beherrscht die Modulation der Stimme, als Mittel Gefühle auszudrücken, nahezu perfekt. Seine Stimme hat Strahlkraft in allen Lagen und auch, den so wichtigen tenoralen Schmelz. Er ist und bleibt halt der Latinlover, den das Publikum so liebt.

Er debütierte in der Rolle, die im Stück alle in seinen Bann zieht: Chao Deng war Escamilo. Es gelingt Deng Escamillos Selbstverliebtheit einen wunderbar humorvollen Anstrich. Sein Bass-Bariton ist wandlungsfähig und von wohltönender Wärme, für den es sicher noch andere Rollen, die sein Können besser zum Vorschein bringen, vielleicht ja demnächst der Figaro in Mozarts Le Nozze de Figaro.

Schmugglerszene, Ensemble
PhotoCredits: Brinkhoff/Mögenburg

Als junges Mädchen, schmachtete ich geradezu zu nach den großen Opernstars. Heutzutage weiß ich die Leistungen von Ensemblemitgliedern, wie Chao Deng oder Narea Son, die ihre erste Micaëla ,gab mit viel kecker Hingabe an Fritschs Rollenvorgabe und ihrem weichen, sicher und sehr gefühlvoll geführten Sopran. Auch ihr gebühren noch einige schöne Rollen, dies ie lange an dies Haus binden.

Irgendwie es die unterstützenden Rollen, die dem meisten Spaß an den ungewöhnlichen Rolleninterpretationen zu haben, was sich in durchweg wirklich guten Leistungen zeigte: Kady Evanyshyn (Mercedes), Hongping Ruan (Frasquita), Nicholas Mogg (Dancaïro), Peter Galliard (Remendado) und Han Kim (Zuniga).

Fazit: Ein umjubelter Abend, der auch dank der Leistung des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung des engagiert dirigierenden Sesto Quatrini.

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch: 24.09.2024

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2 Kommentare

  1. Melomaria 28. September 2024

    Was hat am 24.9. hinter dem Operntitel Carmen gewohnt?
    Ueberladene Themaverfehlung, leider musikalisch ausser V.Grigolo und annaehernd Frau Son wenig begeisternd.
    In Wien Wochen vorher Bieito’sMinimalismus auf der Bühne, Grigolo plus superbes Team. Zum Libretto von MERIMÉE/HALÉVY hat Bizet geniale Musik geschrieben, in dieser Produktion wohnt leider Selbstgegefaelligkeit und wenn schon commedia del arte, dann bitte nicht diese orange- lindgruenen DisneyKostueme und Kungfu toréador. Und, “ Ohrwuermer“ excellent singen, ist halt immer grosse Herausforderung.

    • Admin 29. September 2024 — Autor der Seiten

      Danke, für Ihre Meinung! Ich finde es immer spannend, interessant und auch inspirierend, andere Ansichten zu hören/lesen. Bieitos Carmen kenne ich – leider nur als Video. Aber auch hier gilt für mich, dass es wichtig ist, offen zu sein für Neues/anderes. Und nein,das heißt NICHT, dass es gefallen muss.
      Danke noch ein Mal
      Birgit Kleinfeld

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