Titelbild: https://www.kiranwest.com/
(Vorab: Wie schon bei The Times are racing sind allerdings auch dieses Mal meine Worte nur ein Vorgeplänkel, denn auch wenn das neu geplante Projekt „Erste Schritte“ eine schwerere „Geburt“ zu werden scheint, als gedacht, folgen relativ zeitnah zwei andere Meinungen. Darum möchte ich mich zurückhalten.)
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Ein gutes Ballett ist wie gute Literatur, es enthüllt immer wieder neue „Geheimnisse“ in Form von neu zu entdeckenden Details in Handlung wie Tanz. So auch Cathy Marstons auf sanfte Weise feministisches Ballett Jane Eyre, getanzt vom Hamburg Ballett an der Staatsoper Hamburg. Wie stets erwecken Madoka Sugai und Alexandr Trusch Charlotte Brontës vielschichtige Figuren Jane und Rochester zum Lebens, begeistern das Publikum und bestätigten meine Meinung, dass wirklich keine Vorstellung gleich ist.
Das Ballett um das Schicksal der Waise und Gouvernante Jane Eyre beginnt eigentlich mitten in der Geschichte, mit einem Pas de deux hinter einem Gazevorhang, dem Janes Flucht folgt. Sie irrt durch eine öde Gegend, verfolgt, umringt und überwältigt von imaginären Männern, Bedrohungen, die ihrer Fantasie entspringen, sich nähren aus Ängsten und gesellschaftlichen Konventionen. Das Herrenensemble, in dem ich nicht wenige neue, für mich leider noch namenlose Gesichter entdecke, zieht nicht nur in dieser ersten Szene in seinen Bann und lässt auch das Publikum eine gewisse, bedrohliche Faszination fühlen oder vielleicht auch eine faszinierende Bedrohung.
Gerettet wird Jane aus dieser verzweifelten Situation vom realen St. John Rivers, in dessen Haus sie ihr Leben im Rückblick erlebt, inklusive der demütigenden Jahre als kleines Mädchen im Hause ihrer Tante und im Waisenhaus. Hier wächst sie heran, bis sie eine Anstellung als Gouvernante der kleinen Adele findet, dem Mündel des Eigenbrötlers Rochester. Er wird ihr Schicksal und sie das seine. Es mangelt nicht an Romantik, aber auch nicht an Dramatik in die unter anderem Rochesters erste, geistig verwirrte Frau Bertha verwickelt ist, der Grund für Janes Flucht. Das Ende verheißt einen positiven Blick in die Zukunft von Jane und Rochester, der durch Berthas Schuld erblindete. Aber zumindest hier bei Marston ist es kein „reicher Mann rettet armes Mädchen Happyend „, aber auch kein „armes Mädchen bleibt aus Mitleid“. Denn Jane bleibt nicht wegen Rochesters Blindheit, sondern trotzdem: Sie finden sich aus gegenseitiger Achtung und Lieben, nicht aus Abhängigkeit.
Madoka Sugai und Alexandr Trusch vermitteln diesen Eindruck an diesem Abend besonders intensiv. Viele ihrer großen und kleinen Gesten scheinen mir neu, wie noch nie gesehen, was natürlich an (m)einer unterschiedlichen Wahrnehmung ebenso liegt wie an der nie stereotypen Darstellung der beiden und ihren stets beeindruckenden tänzerischen Leistungen.
Ausnahmsweise möchte ich heute nur noch bei den Damen Anna Laudere, als arrogant elegante, stark an Rochester interessierte Blanche Ingram und Silvia Azzoni als hibbelige Haushälterin Mrs Fairfax erwähnen. Beide Ersten Solistinnen haben das Hamburger Publikum viele Jahre in den wunderbarsten Partien bezaubert und haben nichts von ihrer Bühnenpräsenz, ihrer Ausdruckskraft verloren. Anna Laudere durfte ihre wohl nie endende Grazie unter Beweis stellen und Silvia Azzoni ihren Humor und Witz.
Auch Christopher Evans als, durch kraftvolle Sprünge und subtil forderndes Verhalten Jane gegenüber, auffallender St. John Rivers und Mathias Oberlins bitterböser, sich wunderbar elegant bewegender Waisenhausdirektor Mr. Brocklehurst, möchte ich in meinem Text nicht unerwähnt lassen, der ja eigentlich mehr verschweigen will, als erzählen.
Doch das war es fürs Erste, auch wenn es mich in den Fingern juckt, alle anderen und ihre Leistungen zu erwähnen. Aber, haben Sie Geduld, mehr zu diesem Abend folgt wirklich (Zeitnah? Bald?) mit einer anderen Stimme, als (nur) der meinen!
Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch 1.11.24