Titelbild: Elsa Dreisig (Manon), hinten: Elbenita Kajtazi (Poussette)
PhotoCredits: Brinkhoff-Moegenburg
Noch weitere dreimal (2., 4. und 6.2.) ist Jules Massenets Oper Manon mit Elsa Dreisig in der Titelrolle an der Staatsoper Hamburg zu erleben und zu genießen. In der besuchten Vorstellung (30.1.) verzauberte Dreisig, zusammen mit Enea Scala, als Chevalier des Grieux und Björn Bürger als Lescaut, mithilfe von Massenets Melodien das Publikum, dem durch Begeisterung zumindest teilweise gelang, die zu zahlreichen freien Plätze, vergessen zu lassen und die Leistungen klatschend und jubelnd zu honorieren.
Von der Liebe nach Luxus bezwungen
Abbé Antoine-François Prévost d’Exiles verfasste bereits 1731 die Urfassung seines Sittengemäldes, das den Werde- oder Untergang eines jungen lebens- und luxushungrigen Mädchens beschreibt. Manon, gerade 16 Jahre alt, entgeht durch ihre Flucht mit dem angehenden Theologiestudenten Des Grieux dem Nonnendasein. Nach einem Leben im Rausch von Liebe und Begehren von Luxus wird sie auf Anweisungen eines abgelehnten, sich rächenden Adligen nach Amerika deportiert. Dort stirbt sie in den Armen ihrer ersten Liebe Des Grieux, den sie mit in den Abgrund riss, der aber nach ihrem Tod zu einem sittlichen Leben zurückfindet. Zumindest im Roman.
In Massenets Oper und dem Libretto von Henri Meilhac und Philippe Gille bleibt das Schicksal des Chevaliers im Allgemeinen offen. David Bösch jedoch geht weiter als ihn nur über der Leiche der Geliebten zusammenbrechen zulassen. Sie wählen beide den Freitod, durch Drogen bzw. aufgeschnittene Pulsadern. Ansonsten transportieren sie Bösch und sein Team Patrick Bannwart (Bühne, Video), Falko Herold (Kostüme, Video) und Michael Bauer (Licht) unaufdringlich authentisch ins Hier und Jetzt. Videoaufnahmen und -animationen zeigen in den Zwischenspielen Szenen aus Manons Leben, samt animierter Katze, und geben den darauf folgenden Akten/Szenen Titel wie L’Arivée, Greetings from Paris, C’est la vie und Le dernier jeu.
Auch die Kostüme passen zu den einzelnen Szenen und Situationen und David Bösch zeigt, dass er es versteht aus Figuren echte Charaktere zu machen. Er ist ein wahrer Meister darin, mit wenig viel zu erreichen. Sei es, dass Manon, außer im ersten Bild, in wichtigen Szenen immer zumindest zeitweise barfuß ist. Oder die Katze, die erst weiß ist, dann vor Manons Verhaftung und Untergang schwarz und schließlich blutend auf ihrem schwarzen Rücken liegend auf der Leinwand zu sehen ist, den weißen Bauch schutzlos darbietend. Dies sind nur wenige Beispiele für viele wirklich gute Einfälle, um zu Musik und Handlung passend diese Geschichte zu erzählen.
Bittersüßes „Savoir Vivre“ endlich mit Chor
Da mir die Premiere von Ariadne auf Naxos vom vergangenen Sonntag auch musikalisch noch positiv nachhängt, beginne ich diesen Abschnitt „off topic„, wie es so schon heißt. Die Musik von Richard Strauss sprach und spricht, den Bildungsbürger in (einigen von) uns an, der sich nach Klängen sehnt, die eher Geist und Intellekt ansprechen, als in die Welt der romantischen Emotionalität zu entführen, die schon mal zu Tränen rühren kann, nachdem sie uns vorher von Lebenslust und Glück erzählte. Strauss‘ Musik ist vielleicht nicht schwere, aber auf wunderschöne Art etwas anspruchsvollere „Kost“.
Massenets Manon hingegen verzaubert mit dem Flair des bittersüßen „Savoir vivre“, spricht den romantischen und melancholischen Teil unserer Seele an, lässt uns eine Traurigkeit „genießen“, die nicht wirklich uns betrifft.
Carlo Montanaro und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg gelang es (mir) zu zeigen, wie sehr (mich auch) das französische Genre der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Bann zieht und von Zeit zu Zeit sogar „dahinschmelzen lässt“. Sei es dank der lebensbejahenden ersten Takte der Oper, die sich immer dramatischer entwickelnden kleinen Vorspiele zu den einzelnen Bildern oder auch weil sie zusammen mit Ensemble und Chor, im übertragenen Sinne, einfach genau den Ton, die Töne trafen, die dieser Abend brauchte.

PhtoCredits: Brinkhoff-Mögenburg (Premierenserie)
Natürlich gab es auch bereits in den Aufführungen während/kurz nach Corona einen Chor, doch saß der verteilt in den vordersten Logen der unteren Ränge. Das verhalf zu einem besonderen Klangerlebnis. Jetzt aber die Mitglieder des Chors der Hamburgischen Staatsoper nicht nur zu hören, sondern auch deren Spielfreude zu erleben, macht die Aufführung erst richtig rund. Erwähnen möchte ich auch Bass Han Kim (Der Wirt), ehemaliges Mitglied des Internationalen Opernstudios Hamburg (IOSH) wie auch Mziwamadoda Sipho Nodlayiya (1. Gardist), ebenfalls Bass und zurzeit zusammen mit Bariton Grzegorz Pelutis (2. Gardist) Mitglied des IOSH.
Voller Spielfreude und schönen Stimmen brillierten auch Na’ama Shulman, Ida Aldrian und Kady Evanyshyn als Poussette, Rosette und Javotte, jene drei Frauen, die Manon anfangs so neidvoll bewundert und die sich später dann sie, ihren Ruhm, ihr Geld hängen.
In den Partien des Grafen des Grieux, dem Vater des Chevaliers, überzeugte Tigran Martirossian, dem ich zu Beginn unberechtigter Weise skeptisch gegenüber stand, da ich mich noch lebhaft an den charismatischen Wilhelm Schwinghammer erinnere, der diese Rolle in der letzteren Serie sang. Aus ähnlichen Gründen möchte ich auch Abbitte bei Andrew Dickinson, der den rachsüchtigen Guillot-Morfontaine sang, und bei Nicholas Mogg als Manons Gönner von Brétigny leisten. Beide Sänger schätze ich sehr und weiß, dass sie wirklich Gutes leisteten, stimmlich wie darstellerisch. Aber die Art und Weise wie ihre „Vorgänger“ diese Rollen, in allen Vorstellungen, die ich bisher sah, interpretierten, gehen mir – bisher! – einfach nicht aus dem Sinn.

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Ein begeisterndes Protagonist*innen-Trio
Auch er gehört zu jenen Künstler*innen dieser Produktion, die mich bereits mehr als ein Mal begeisterten: Bariton Björn Bürger, der kurzfristig für Alexey Bogdanchikov einsprang, der gleich nach seinem Rollendebüt am Dienstag erkrankte. Bürger gelingt es stimmlich mühelos mit seinem wandlungsfähigen Bariton nicht nur mit der Arie Rosalinde zu begeistern. Durch seine hochgewachsene, sehr schlanke Gestalt, ist er daneben auch optisch prädestiniert für diesen speziellen Lescaut, dem drogen-und spielsüchtigen Junkie. Doch wie sich Bürgers Lescaut von einem trinkfreudigen, aber irgendwie liebenswerten, Raubein über einen Luxuskokser zu einem Wrack von einem Heroin-Junkie entwickelt, geht allein durch seine Darstellung unter die Haut.
Der lyrische Tenor Enea Scala besticht als Des Grieux am Anfang mit jugendlichem Überschwang und Charme, weiß aber die Entwicklung des bald in unglücklicher aber tiefer Liebe an Manon gebundenen jungen Mannes authentisch darzustellen. Das gilt besonders für die Szene im Kloster, wenn er mit der Arie „Ah, fuyez douce image“ alles tut, um sich selbst zu überzeugen wirklich ins Kloster einzutreten. Nur um der überraschend auftauchenden Manon dann doch zu folgen, um endlich mit ihr zu sterben. Ja, darstellerisch ist Scala ganz und gar der tragisch-romantische Held, den das französische/italienische Fach so auszeichnet. Stimmlich brauchte er etwas um auch da zu Hochform aufzulaufen. Aber spätestens bei „Ah fuyez...“ bezauberte er mit Glanz und Schmelz und auch dieser Intonation, die einige Töne wie Seufzer oder Schluchzer klingen lässt. Alleine oder auch zusammen mit seiner Manon berührte er von da an auf ganzer Linie.

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Bisher kannte ich Elsa Dreisig, die Original-Manon dieser Produktion, nur aus dem Stream, darum waren Spannung und Erwartung groß und wurden nicht enttäuscht. Gut, auch hier oute ich mich, die sich ja sonst stets bemüht Vergleiche zu vermeiden. Dreisig ist für meinen Geschmack eine vielleicht nicht berechnende, doch eher auf Luxus und Rum fixierte Manon, statt eine, die wirklich unter ihrer Zerrissenheit: Liebe oder Luxus leidet. Wenn sie erfährt, dass Des Grieux ins Kloster eintreten will, zum Beispiel, wirkt es im ersten Moment so, als ginge es darum ihren Einfluss auf den einstigen Geliebten nicht zu verlieren und nicht so als wolle sie ihn vor einem Fehler retten. Das mag an der ursprünglichen Absicht der Regie liegen, doch – und nun das Outing- mich persönlich berührt und bewegt eine Manon, wie z. B.: Elbenita Kajtazi, die stimmlich und darstellerisch ganz an sich selbst (ver)zweifelnde Liebende ist, einfach noch ein wenig mehr. Was jedoch Dreisigs Sopran angeht, so fasziniert die Leichtigkeit, mit der sie die anspruchsvollsten Passagen und Koloraturen bewältigt. Sie beherrscht Mittellage und Höhen problemlos und sicher, macht damit, was ich bemängelte, wieder wett. Brava!
Fazit: Ein wunderbarer, mitreißender Abend, dessen Ausführende ein Voll(er)es Haus mehr als verdient hätten.
Birgit Kleinfeld (Vorstellungsbesuch 30.1.2025)
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