operngestalten.de

Nomen ist nicht immer Omen - Oft reicht er nicht allein-Dahinter kann noch viel mehr "wohnen"! -Kommt! Schaut doch einfach rein!

Hamburg Ballett – Nijinsky: Eher ein offener Brief, als pure „Rezi“

Titelbild: Alexandre Riabko, Ensemble
PhotoCredits: https://www.kiranwest.com/

Liebes Hamburg Ballett Ensemble
am 20.6. feierten wir euch für die letzte von vier Vorstellungen von Nijinsky, einem Ballett, nicht nur über DIE männliche Tanzlegende 20. Jahrhunderts, sondern besonders auch über seine völlige Hingabe an seine Kunst und deren Zerstörung durch Revolution, Krieg und vor allem Wahn. Wieder einmal habt ihr alle bewiesen, welch besonderen Compagnie ihr seid. Ihr habt jeden Klatscher, jeden Jubelruf, jeden Moment Standing Ovation mehr als verdient. Jede*r von euch, denn auch wenn Choreografie, Bühnenbild und Kostüme von John Neumeier stammen, seid doch ihr alle es, die seine Werke mit Leben, eurem Können, und ja – irgendwie auch durch einen Teil eurer Seele füllt.

Das habt ihr mir persönlich am 13. 6. und eben auch am 20.6. erneut bewiese. Welche Vorstellung, welche Besetzung besser war? Das ist es ja eben, ich kann selten sagen, dass die eine Besetzung „besser“ ist als die andere, sondern nur, dass Alexandr Trusch ein ganz anderer Nijinsky ist als Aleix Martinez, Anna Laudere als Romola andere Saiten berührt als Ida Praetorius. Beide Herren geben alles, überzeugen und berühren auf ganzer Linie: Der eine zeigt uns eher den Künstler, dem Publikum verpflichtet, der andere scheint mehr zu leiden, noch mehr in den Wolken seiner Kunst zu schweben. Die beiden Damen strahlen eine unterschiedliche Sinnlichkeit und auch andere Stärke aus, sind aber nicht nur in der Faun- oder der Schlittenszene von einer darstellerischen und tänzerischen Qualität, die unter die Haut geht. Madoka Sugai und Ida Stempelmann als Bronislava ziehen beide besonders in den Sacre-Szenen in den Bann, wobei Ida Stempelmann für mich da eine andere Ausstrahlung und Ursprünglichkeit hat als die ebenfalls wunderbare Madoka Sugai, einfach weil sie andere Persönlichkeiten sind. Und genau das ist es, was mehrere Besuche desselben Stückes so wunderbar interessant und immer wieder neu macht.

Dies gilt natürlich für alle und jeden auf die eine oder andere Weise. Heute denke ich da nur noch an Edvin Revazov und Matias Oberlin in der Rolle des Serge Diaghilews. Die Dynamik Oberlin/Martinez ist irgendwie dramatischer, es scheint hier, anders als bei Revazov/Trusch, weniger echte Entfremdung zu geben. Ach, ich kann es nicht beschreiben, will ich doch mit diesem speziellen Text sowieso auf etwas anderes hinaus. Nur soviel: Beide Paarungen faszinieren und bringen uns die Personen/Rollen näher. Das gilt auch für Evan L’Hirondelle, der doch erst am 19. 6. sein Debüt als Stanislav gab und jetzt schon vermuten lässt, dass er dem viel erfahreneren Aleix Martinez irgendwann in Emotionalität, Ausstrahlung nahekommt.

Alle anderen: Louis Musin, Allesandro Frola, Xue Lin, Emiliano Torres, Louis Haslach, Silvia Azzoni, Charlotte Lazelere und und und… bitte ich nun um Entschuldigung, dass ich dieses eine Mal eure Leistung hier nicht wirklich erwähne und würdige. Ich werde es bald nachholen. Nun aber möchte ich zu dem zweiten Punkt kommen, aus dem ihr alle, das gesamte Ensemble, unsere Hochachtung verdient habt: Genau, ich rede von der leidigen Volpi-Sache. Ich gestehe es, ich habe nicht nur innerlich gejubelt, als ich von seiner Entlassung hörte. Alles wird wieder gut, dachte ich. Nun gibt es bald wieder anderes als nur die mehrteiligen Abende. Stücke wie „As times are racing“ machen nicht nur euch Spaß, zeigen uns, was ihr alles könnt, aber ich gehe da immer mit einem „Das kann doch nicht alles gewesen sein“-Gefühl nach Hause. Nein, auch wenn ich ohne John Neumeier Ballette wohl immer allein bei Oper und Konzert Besuchen geblieben wäre, will ich jetzt nicht zu diesen, wunderbaren, aber einseitigen Zeiten zurück.

Aber auch für euch, die uns allen soviel Freude bringen oder auch köstliches Leid, da sie auch in traurigen Rollen so überzeugen, wünsche ich mir Herausforderungen, die euch euren wunderschönen, aber schweren und kurzlebigen Beruf versüßen. Und ich wünsche euch einen Chef, der euch respektiert, wertschätzt und fördert wie fordert. In meiner -nein, in unserer- Euphorie, feier(te)n wir euch auch für euren tollen Zusammenhalt, den es auf jeden Fall ja gibt, denn ihr habt viel geschafft. Aber alles hat zwei Seiten, und erst im Laufe der vergangenen Woche wurde mir plötzlich klar, wie in jeder „normalen“ Firma gilt sicher auch für euch, dass es Menschen gibt, die mit einem Chef wie Demis Volpi gut zurechtkamen, alles ganz anders empfanden und seinen Weggang aus den unterschiedlichsten Gründen bedauern. Wie müssen die sich nun fühlen? Wie ist ihr/euer Standing in der Compagnie? Ist es nicht eher so, dass auch wir von außen an jene denken sollten, die den Brandbrief nicht unterschrieben? Fängt, abseits von allen Proben, in den Umkleiden, der Kantine, den (gemeinsamen) Pausen, auch mit der Ungewissheit, wer nach Lloyd Riggins kommt, die richtige Arbeit für euch nicht erst an? Das Wiederzusammenfinden, das vielleicht tatsächlich auch Trauer und Enttäuschung überwinden?

All diese Fragen beginnen mich zu bewegen. Ich war und bin immer auf eurer, auf der Seite des Ensembles und meine jedes Lob der Anerkennung oder auch Bewunderung völlig ernst. Doch ich glaube, ich war zu blauäugig, naiv, Publikums-egoistisch bisher. Darum möchte ich heute all jenen, die die jetzige Situation mit klammen, gemischten Gefühlen sehen, viel Kraft wünschen, möchte betonen, auch ihr werdet gesehen, verstanden. Und ich bin der festen Überzeugung, ihr alle, egal ob euch der Weggang Volpis erleichtert oder nicht, findet einen Weg, um wieder zusammenzuwachsen und vielleicht verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen.

Irgendwie gelingt es mir doch nicht, die Worte zu finden, die ich finden wollte. Darum schließe ich einfach mit einem vielleicht klischeehaften, aber herzlichen: Ich/wir glaube(n) an euch und auch wenn wir nicht wirklich wissen, wie es hinter den Kulissen aussieht, sehen wir nicht nur den schönen Schein, an dem ihr immer so hart arbeitet, sondern erahnen auch, dass nicht alles eitel Sonnenschein ist, auch /oder gerade jetzt (noch) nicht. Aber gerade darum verdient ihr alle für eure Leistungen noch mehr Hochachtung, als wir sie euch gaben und geben.

Passt alle gut auf euch auf, verliert nie den Glauben an euch!

Eure Birgit Kleinfeld

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2025 operngestalten.de

Thema von Anders Norén