operngestalten.de

Nomen ist nicht immer Omen - Oft reicht er nicht allein-Dahinter kann noch viel mehr "wohnen"! -Kommt! Schaut doch einfach rein!

Hamburg Ballett – Endstation Sehnsucht: Rezension + Gedankentanz, 1. Rezension

Titelbild: Matias Oberlin (Stanley), Anna Laudere( Blanche)
PhotoCredits: https://www.silvanoballonephotography.com/

Am 30.4. begann eine neue Vorstellungsserie von John Neumeiers Ballett-Adaption des Tennessee Williams Stück Endstation Sehnsucht. Wie stets zog die Geschichte um die Southern Belle Blanche Dubois ihren selbstmörderischen, da homosexuellen, Bräutigam Allan, ihre schon zuvor nach New Orleans geflohene Schwester Stella und deren gewalttätigen Ehemann Stanley Kowalsky, in den Bann. Und ein Mal mehr wurde mir bewusst, warum und was ich so schätze an dieser Compagnie, genau wie sie ist.

Jacopo Bellussi (Allan), Anna Laudere (Blanche)
PhotoCredits: Silvano Ballone

Stets mehr als nur eine getanzte Geschichte
Mir ist klar, dass der letzte Satz des ersten Absatzes suggeriert, worauf ich mit meinem „äußerst persönlichen Gedankentanz“ hinaus will. Doch zuerst möchte ich das „Warum und Was“, die Besonderheiten der Mitglieder des Hamburg Balletts eingehen, am Beispiel der Vorstellung von Endstation Sehnsucht. Da ist zum einen Matias Oberlin, der in allen Vorstellungen( 30.4., 1.2., 9.5. je 19 Uhr und 11.5. (15 Uhr und 18 Uhr) die Partie des Bösewichts Stanley getanzt hat bzw. tanzen wird, da der alternativ vorgesehene Artem Prokopchuk sich verletzte. Oberlin besticht durch die vollkommene Beherrschung der oft fast akrobatisch anmutenden Bewegungen: zum Beispiel, wenn er sich in der Vergewaltigungsszene über das schmiedeeiserne Bettgitter einer Spinne gleich auf die völlig verängstigte Blanche herablässt, genau im Takt von Alfred Schnittkes jazzähnlichen Klängen (Sinfonie 1).

Matias Oberlin (Stanley) Anna Laudere (Blanche)
PhotoCredits: Silvano Ballone

Außerdem porträtiert Oberlin die Figur des vulgären Proleten auf wunderbar hassenswerte Art und Weise, haucht ihm so Leben und Glaubwürdigkeit ein. Aber er ist bei weitem nicht der einzige mit der Fähigkeit, das Publikum an den Emotionen der Protagonisten oder Personen auf der Bühne im allgemeine teilhaben zu lassen. Jede Tänzerin, jeder Tänzer im Hamburg Ballett ist einfach so viel mehr, als nur Reproduzent schöner, komplizierter, schwerer Sprünge, Drehungen oder Schritte. In Endstation Sehnsucht zum Beispiel überzeugt Charlotte Larzelere als lebenslustige Stella, die die ruppige Art, mit der Stanley sie behandelt, nicht nur zu akzeptieren, sondern sogar zu genießen scheint und dies mit tänzerischer Leichtigkeit und mädchenhafter Anmut. Herrlich unbeholfen, schüchtern verliebt und dann, durch Stanleys Manipulation, enttäuscht und wütend über Blanches Erscheinen. Fern ab von weichzeichnendem Licht ist Edvin Revazov als Mitch. Auch Jacopo Bellussi als Blanches Verlobter Allan, bzw. als Zeitungsjunge in New Orleans, der sich aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Allan gegen Blanches Avancen wehren muss, besticht durch Ausdrucksstärke, spürbarer innerer Zerrissenheit und tänzerischer Eleganz, in den kurzen Pas de deux mit Blanche ebenso wie in den Szenen mit Lennard Giesenberg als seinem (Allans) heimlichen Liebhaber.

Jacopo Bellussi (Allan), Lennard Giesenberg (Allans Freund)
PhotoCredits: Silvano Ballone

Vom ersten bis zum letzten Moment faszinierend und, wie auch alle oben erwähnten, äußerst wandlungsfähig ist Anna Laudere in der tänzerisch wie emotional anspruchsvollen Rolle der Blanche. Die Intensität, mit der Laudere diese Partie gestaltet, geht tief unter die Haut. Es beginnt damit, wenn sie zu Anfang des Stückes leise russisch brabbelnd ihren Koffer durchsucht, dann plötzlich völlig aus den Bauch heraus qualvolle, verzweifelte Schreie ausstößt und zeigt sich in vielen kleinen und großen Gesten, die zusammen mit ihrem federleichten Tanz zu einem lange nachhallendem Ganzen wird.

Zugegebener Maßen gehört Endstation Sehnsucht zu jenen (Handlungs-)Balletten, bei denen ich von anderen Besucher*innen nicht selten Bemerkungen wie: ‚Damit kann ich nicht wirklich etwas anfangen als Ballett‚ oder ‚Im Fernsehen sind die Kostüme und die Bühnenbilder immer viel schöner.‘ Doch zu mindestens 90% folgt dann ein „Aber“. „Aber die Tänzer sind einfach fantastisch“, „Der XY springt ja nicht nur super hoch, der ist ja auch noch echt charmant/ leidenschaftlich/witzig/ böse.“ „Neulich hab ich sie als AB gesehen, hier ist sie wirklich eine ganz andere! Toll!“ Und so wurde auch am 30.4. das Ensemble gefeiert, bewundert und von nicht wenigen eingefleischten Fans auch geliebt.

Fazit: Ja, ich gehöre zur letzten Gruppe. Und ja, die vermehrten Berichte über die momentane Situation des Hamburg Balletts haben mich angeregt, auch „meinen Senf“ dazuzugeben und dabei/darum den Begriff „zeitnahe Berichterstattung“ etwas auszudehnen. Denn auch wenn ich wohl nichts Neues zu sagen habe, muss es einfach raus, ehrlich, authentisch, sachlich, ohne willkürlich auszuteilen, und letztendlich ausführlicher als geplant. Darum an anderer Stelle, aber sehr zeitnah.

Birgit Kleinfeld, Vorstellungsbesuch: 30.04.25

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

© 2025 operngestalten.de

Thema von Anders Norén